6.1 Einleitung

Strategisches Management

Das strategische Geschäftsprozessmanagement ist in das ganz allgemeine Strategische Management eingebettet. Dieses befasst sich damit, wie die Geschäftstätigkeit des Unternehmens optimal gestaltet werden kann. Dazu gehört auch die Klärung der Erfolgsfaktoren und der Kernkompetenzen der Organisation. Ausgangspunkt ist dabei die strategische Zielsetzung der Organisation, die Geschäftsstrategie.

Einbettung

Strategisches Management hat also - mit anderen Worten - die Aufgabe, das (profitable) Fortbestehen des Unternehmens langfristig zu sichern.

Die Aufgaben des strategischen Managements beziehen sich auf das gesamte Unternehmen, nicht auf die einzelnen Geschäftsprozesse. Zu ihnen gehören:

Für das gesamte Unternehmen

  • Festlegung und Analyse der Geschäftsfelder
  • Festlegung der Geschäftsstrategien, inklusive der Wettbewerbsstrategien
  • Festlegung der Geschäftsziele
  • Bestimmung der Kernkompetenzen
  • Klärung der strategischen Erfolgsfaktoren
  • Bestimmung von Erfolgspotentialen
  • Entwicklung einer Unternehmensvision und eines Unternehmensleitbildes

Auch die Wahrnehmung von organisationsrelevanten Veränderungen in Technik, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft muss hier geleistet werden:

  • Erkennen von sich ändernden Rahmenbedingungen ("Dieselmotoren kaum noch durchsetzbar im US-Markt")
  • Erkennen von Risiken bzw. Chancen
  • Erkennen von Schwächen und Stärken (IBM: "in Hardware können wir nicht mehr mithalten"; "IT-gestützte Dienstleistungen könnten sich als tragfähig erweisen")
  • Identifizierung von zukünftigen Tätigkeitsfeldern, Geschäftsfeldern und strategischen Geschäftseinheiten ("nationale Cloud-Angebote")

In Anlehnung an [Schmelzer und Sesselmann 2013, S. 18].

Strategisches Geschäftsprozessmanagement

Zu den Aufgaben des strategischen Managements gehört auch die Klärung der Rolle des Geschäftsprozessmanagements im Unternehmen:

  • Wie ist das Geschäftsprozessmanagement langfristig auszurichten (Prozessvision, strategische Prozessziele)?
  • Wie soll die organisatorische Verankerung des Geschäftsprozessmanagementsystems im Unternehmen umgesetzt werden, welche Rollen werden definiert und eingerichtet.

Dies führt zum strategischen Geschäftsprozessmanagement, das somit Teil des strategischen Managements ist. Hier bauen die Überlegungen auf obigem auf, konzentrieren sich aber auf die Geschäftsprozesse. Dabei geht es um die langfristige Ausrichtung, Ausgestaltung und Ausstattung der Geschäftsprozesse und des Geschäftsprozessmanagementsystems. Im Fokus stehen alle wettbewerbsrelevanten Geschäftsprozesse. Diese sind in der Regel Kerngeschäftsprozesse / primäre Geschäftsprozesse.

Langfristige Ausrichtung, Ausgestaltung und Ausstattung

Zu den Zielen gehören:

  • Planung von Prozessvision und Prozessmission. Die Prozessvision beantwortet die Frage, was das Unternehmen in Zukunft mit Geschäftsprozessmanagement erreichen möchte. Die Prozessmission setzt die Prozessvision um.
  • Klärung der Abhängigkeiten zwischen der Geschäftsstrategie und den Geschäftsprozessen, denn bei konsequenter Umsetzung stellt das strategische Geschäftsprozessmanagement diese Verbindung her [Schmelzer und Sesselmann 2013, S. 82].
  • Identifizierung, Planung und Gestaltung der Geschäftsprozesse.
  • Festlegung der Prozessziele anhand der strategischen Unternehmenssziele.
  • Einschätzung der Geschäftsprozesse hinsichtlich ihrer strategischen Bedeutung.
  • Klärung der Kernkompetenzen und Kerngeschäftsprozesse und Erkennen der diesbezüglichen Veränderungen ("mit Kontoführung allein kann man nicht mehr überleben" bzw. "mit Darlehensvergaben ist angesichts der Zinssätze kaum mehr etwas zu verdienen").
  • Klärung des Zusammenhangs von Kernkompetenzen und Geschäftsprozessen hinsichtlich des Ziels, die strategischen Prozessziele zu erreichen.
  • Klärung der Auswirkungen der Wettbewerbsstrategie auf die Geschäftsprozesse
  • Klärung der IT-Unterstützung und Automatisierungsmöglichkeiten, zusammen mit dem IT-Management.
  • Klärung der Möglichkeiten und Grenzen des Outsourcing und Cloud Computing (zusammen mit dem IT-Management).

Die letzten beiden Punkte deuten wichtige Koordinierungsaufgaben an, die derzeit auch noch an Bedeutung gewinnen. Dies betrifft insbesondere die Abstimmung von Prozess- und IT-Strategie.

6.2 Prozessvision und Prozessziele

Zentrale Konzepte des strategischen Geschäftsprozessmanagements sind Prozessvision und Prozessziele.

Eine Prozessvision sollte ...

Prozessvision

  • nachvollziehbar sein.
  • langfristigen Interessen entsprechen.
  • realistische Ziele enthalten.
  • ausreichend spezifisch sein.
  • flexibel sein, sodass sie auch bei veränderten Bedingungen Gültigkeit besitzt.

[Schmelzer und Sesselmann 2013, S. 83f].

Die Prozessziele werden aus den Unternehmenszielen abgeleitet. Sie sind mit geeigneten Prozesskennzahlen verbunden und werden auf der Basis der Geschäftsziele und unter Berücksichtigung der Erfolgsfaktoren (strategische, kritische) definiert. An diesen Zielen wird dann auch der Erfolg gemessen. Besteht zum Beispiel das Prozessziel Marktführer zu werden, muss man die Ziele für die einschlägigen Geschäftsprozesse entsprechend formulieren, z.B. in der Entwicklung ("jedes Jahr ein neues Produkt"), im Vertrieb ("Auslieferung innerhalb eines Tages") und bei der Leistungserbringung ("Fehlerquote unter 0,5%).

Prozessziele

Während bei Kerngeschäftsprozessen die Prozessziele recht spezifischer Natur sein können ("Neue Benutzeroberfläche für das neue Smartphone weitgehend selbsterklärend") fallen sie bei Supportprozessen meist zurück auf das Ziel möglichst großer Effektivität und Effizienz.

6.3 Kernkompetenzen

Im Zusammenhang mit strategischen Überlegungen spielen die Kernkompetenzen des Unternehmens eine zentrale Rolle. Sie sollten so etwas wie Alleinstellungsmerkmale darstellen. Sie müssen gefunden, gepflegt und u.U. hinzugewonnen werden. Bei effektivem Einsatz (meist in Kerngeschäftsprozessen) führen sie zu dauerhaften Wettbewerbsvorteilen, die von den Mitbewerbern nur schwer imitiert oder substituiert werden können. Insbesondere für den langfristigen Unternehmenserfolg sind sie von zentraler Bedeutung.

Alleinstellungs­merkmale

Der Begriff Kernkompetenz spricht die besonderen, den Erfolg sichernden Fähigkeiten der Organisation an. Diese liegen bei den einzelnen Mitarbeitern vor oder im Zusammenwirken von Mitarbeitern (in Abteilungen, Projekten oder sonst wie). Auch der Einsatz von bestimmten Technologien ("Erstellung, Pflege und ständige Optimierung der Präsenz im E-Commerce"; früher: "Erstellung hochwertiger Alluminium-Chassis für Automobile") kann eine Kernkompetenz darstellen.

Kernkompetenzen entstehen also meist nicht durch das Wirken Einzelner, sondern durch Zusammenarbeit in Gruppen oder Belegschaften. So auch Becker/Meise:

„Erst die Integration einzelner Kompetenzen zu einer neuen, übergreifenden und schwer nachzuahmenden Fähigkeit führt zu einer echten Kernkompetenz.“ [Becker und Meise 2012, S. 101].

Kriterien für Kernkompetenzen sind:

  • Es muss ein grundlegender Nutzen für den Kunden geschaffen werden, bzw. es muss ein Nutzen geschaffen werden, für den der Kunde bereit ist, Geld auszugeben.
  • Sie dürfen nicht Allgemeingut sein, sondern müssen das Unternehmen aus dem Kreis der Wettbewerber hervorheben (z.B. durch die Produktion technologisch hochwertiger und qualitativ führender Bohrmaschinen oder Kraftfahrzeuge).
  • Sie muss nicht nur kurzfristige Bedeutung besitzen. Becker/Meise fordern hier eine „langfristige Bedeutung“. Dem kann angesichts der schnellen Umwälzungen in Wissenschaft und Technik nur eingeschränkt zugestimmt werden. Auch Kompetenzen können heute über Nacht wertlos werden oder ihr Profil verändern.

Für eine vertiefte Diskussion vgl. [Becker und Meise 2012, S. 102f].

6.4 Ergebnisse

Die möglichen Ergebnisse des strategischen Geschäftsprozessmanagements sind die Lösungen zu den oben angesprochenen Aufgaben. Zum Beispiel:

  • Bessere Integration der verschiedenen Managementsysteme
  • Outsourcing von Geschäftsprozessen bzw. Verlagerung von Prozessaufgaben in Shared Service Center
  • Oualifizierungsprogramme für Prozessmitarbeiter
  • Einführung einheitlicher Methoden zur Prozessverbesserung wie z. B. Kaizen
  • Einführung der Prozesskostenrechnung
  • Einführung einheitlicher BPM-Tools und -Systeme in Abstimmung mit der IT-Strategie

[Schmelzer und Sesselmann 2013, S. 86]

Während sich die operative Prozessplanung zumeist über ein bis zwei Jahre erstreckt, liegt der zeitliche Rahmen bei der strategischen Prozessplanung meist zwischen drei und fünf Jahren. Für die operative Umsetzung wird aus dem strategischen Prozessprogramm ein Jahresprogramm für die einzelnen Geschäftsprozesse mit den Geschäftsprozessverantwortlichen vereinbart [Schmelzer und Sesselmann 2013, S. 87].

Zeitlicher Rahmen

Methoden, Instrumente

Für diesen Bereich des Managements gibt es zahlreiche Methoden und Instrumente. Besondere Bedeutung hat dabei die Balanced Scorecard. Sie umfasst ein Bündel von Leistungskennzahlen, das dem Management eine strategiekonforme Steuerung des Unternehmens ermöglicht. Dabei wird besonderes Gewicht auf die Verbindung zwischen strategischen und operativen Zielen sowie auf die Kontrolle der Strategieumsetzung gelegt. Die Balanced Scorecard dient der Strategieumsetzung, nicht der Strategiefindung. Für eine nähere Beschreibung vgl. [Schmelzer und Sesselmann 2013, S. 18f].

6.5 Zielsystem

Will man strategische Entscheidungen treffen, benötigt man ein Zielsystem, also Prozessziele und Prozesskennzahlen. Diese werden auf der Basis der Geschäftsziele und unter Berücksichtigung der strategischen und kritischen Erfolgsfaktoren definiert. Vorab ist eine eindeutige Identifikation der Geschäftsprozesse (Kapitel 5) und eine Typisierung vorzunehmen (vgl. Kapitel 3).

Wichtige kritische Erfolgsfaktoren (vgl. unten) sind meist auf hohem Abstraktionsniveau formuliert und daher nicht direkt messbar. Sie erfordern eine Operationalisierung in Form eines detaillierten, konsistenten Systems von Messgrößen. Nur auf diese Weise können Geschäftsprozesse hinsichtlich der Zielerreichung gegenüber strategischen Vorgaben gesteuert werden, kann die konkrete Prozessdurchführung mit den gesetzten Zielen abgeglichen werden. Zu einem solchen Zielsystem, wie Alpar/Alt/Bensberg es nennen, gehören

  • Organisationsziele/Unternehmensziele,
  • kritische Erfolgsfaktoren und
  • Führungsgrößen

[Alpar, Alt, Bensberg u.a. 2014 (E-Book), Pos. 3261]

Organisationsziele definieren die langfristige Richtung der Aktivitäten, ohne unmittelbar umsetzbar zu sein. Beispiele dafür sind:

Organisationsziele

  • Marktführer werden in einem bestimmten Segment
  • Attraktives Webportal einrichten
  • Erhöhung der Kundenzufriedenheit
  • Auslieferungszeiten verkürzen
  • Innovationskraft erhöhen

[ebenda, Pos. 3017, 3024]

Mit Erfolgsfaktoren sind die Leistungsfaktoren gemeint, die dem Erfolg der Organisation dienlich sind. Einige Beispiele:

Erfolgsfaktoren

  • hoher Prozessreifegrad (vgl. Kapitel 9)
  • gute Prozessführung, hohe Prozesskulturkultur
  • hohe Mitarbeitermotivation
  • hohe Mitarbeiterqualifikation
  • leistungsstarke IT-Unterstützung
  • hohe Kunden- und Kundenprozesskenntnis
  • Kostenführerschaft (falls dies das Ziel ist)
  • Qualitätsführerschaft (falls dies das Ziel ist)

Vgl. auch [Schmelzer und Sesselmann 2013, S. 274].

Kritische Erfolgsfaktoren konkretisieren die (langfristigen) Organisationsziele z. B. durch kürzere Fristigkeit, durch Bezug zu aktuellen Lösungen und/oder durch Quantifizierung. Es sind solche, die den Erfolg eines Prozesses maßgeblich beeinflussen [Heinrich und Lehner, 2005, S. 344]. Sie sind meist auf hohem Abstraktionsgrad formuliert und müssen daher auch operationalisiert werden. Beispiele sind:

Kritische Erfolgsfaktoren

  • Investitionen in Forschung und Entwicklung erhöhen (bzgl. Organisationsziel "größere Innovationskraft")
  • Fähigkeiten der Mitarbeiter erhöhen (bzgl. Organisationsziel "größere Innovationskraft")
  • Prozessdurchlaufzeit senken (bzgl. des Organisationsziels "Auslieferungszeiten verkürzen")
  • Verbesserung der Kundenbindung
  • Optimierung des Webportals (bzgl. des Organisationsziels "Erhöhung der Kundenzufriedenheit")

Führungsgrößen (Key Performance Indicator, KPI) dienen der Operationalisierung der kritischen Erfolgsfaktoren, um die Zielerreichung zu messen. Die Führungsgrößen der Prozesse sind, gegebenenfalls in mehreren Schritten, aus den kritischen Erfolgsfaktoren der jeweiligen Geschäftsfelder abzuleiten [Alpar, Alt, Bensberg u.a. 2014 (E-Book), Pos. 3261]. Eine Größe eignet sich dann als Prozessführungsgröße, wenn ihre Ausprägung den Zustand einer Aktivität gut charakterisiert und sie damit zur Steuerung der betreffenden Aktivität herangezogen werden kann. In jedem Fall muss es möglich sein, die betreffende Größe direkt, exakt und zeitnah zu messen.

Führungsgrößen


Abbildung 6.5-1:

Zielsystem eines Unternehmens

Das Zielsystem kommt immer dann zum Einsatz, wenn Effektivität und Effizienz der Prozessrealisierung gemessen werden sollen.

6.6 Prozesseffektiviät und -effizienz

Prozessziele beziehen sich auf Prozesseffektivität und Prozesseffizienz. Nun können wir diese beiden Begriffe genauer klären. Geschäftsprozesse sind effektiv, falls mit ihnen die strategischen und operativen Geschäftsziele erreicht werden, falls sie also die Bedürfnisse der Kunden so erfüllen, dass diese mit den bereitgestellten Prozessergebnissen zufrieden sind. Eine wichtige Zielgröße der Prozesseffektivität ist die Kundenzufriedenheit. Hierzu gehört dann auch Leistungsfähigkeit in Forschung und Entwicklung ("jedes Jahr eine neues Smartphone oder ein weiterentwickeltes Produkt") und Marketing, ohne das heute kaum mehr verkauft werden kann.

Effektivität

Geschäftsprozesse sind effizient, wenn die Kundenleistungen mit möglichst geringem Ressourceneinsatz erzeugt werden. Davon hängt ab, wie hoch die Kosten der Leistungserstellung sind und ob die von den Kunden akzeptierten Preise ausreichen, den angestrebten Gewinn zu erzielen. Ferner bestimmt die Prozesseffizienz, wie schnell, termingerecht und fehlerfrei Leistungen den Kunden bereitgestellt werden.

Effizienz

Zielgrößen

Es gibt zahlreiche Zielgrößen für die Effektivität und Effizienz von Geschäftsprozessen. Die wichtigsten sind die folgenden:

Für Effektivität:

  • Kundenzufriedenheit mit den möglichen Zielen "Senkung der Anzahl an Reklamationen", "Senkung der Fehlerquote". Kennzahl könnte der Umsatz des Kunden zum Vorjahr sein. Maßnahmen zur Erfassung z.B. Kundenbefragungen, Analyse von Beschwerden.

Für Effizienz:

  • Prozessdauer mit dem möglichen Ziel "Senkung der Durchlaufzeit von Aufträgen".
  • Termintreue mit dem Ziel, Lieferzusagen unter allen Umständen einzuhalten.
  • Prozessqualität mit dem möglichen Ziel "Leistungsfähigkeit besser als Wettbewerb", den Kennzahlen "Durchlaufzeit" und "Kapazität", den Maßnahmen zur Erfassung "Prozessanalyse und Benchmarking mit Wettbewerbern".
  • Prozesskosten mit dem Ziel "positiver Deckungsbeitrag".

Schmelzer/Sesselmann nennen diese die Kernziele von Geschäftsprozessen, die Prozesseffektivität und -Effizienz umfassend abdecken [Schmelzer und Sesselmann 2013, S. 273].

Zwischen den Zielen gibt es Abhängigkeiten. Zum Beispiel bei der Termintreue. Sie betrifft über die Kundenzufriedenheit die Effektiviät und über die Prozessdauer die Effizienz der Geschäftsprozesse.