1.1 Prozessgedanke

Es ist nun schon einige Jahre her, dass der Prozessgedanke in die unternehmerische Wirklichkeit und in die wissenschaftliche Diskussion Einzug gehalten hat. Man kann den Anfang in die 1970er-Jahre positionieren. Seitdem hat er immer mehr Bedeutung gewonnen und heute ist er aus der organisatorischen Wirklichkeit und der theoretischen Diskussion nicht mehr wegzudenken. Um es mit Gaitanides zu sagen: In der Praxis ist das Prozessmanagement mittlerweile "zum dominanten Paradigma der Reorganisation geworden." [Gaitanides 2012, S. 6]

Der Anfang

Der Prozessgedanke diente auch als Grundlage eines sehr erfolgreichen Softwaretyps, der integrierten prozessorientierten Software, heute meist ERP-Software genannt (vgl. Abschnitt 17.3).

ERP-Software

Zu Beginn dieser Entwicklung hin zur Prozessorientierung in den 1970-er Jahren (vgl. die frühen Arbeiten von Mertens und Scheer) ging es darum, die alten, auf Stellen/­Funktionen fixierten Vorstellungen zu überwinden und das Prozessdenken zu etablieren. Dies gelang nach und nach. Schwerpunkt waren dabei einzelne Geschäftsprozesse und ihre Defizite. Der Weg war die einfache Optimierung, von den Ist-Prozessen zu optimierten Soll-Prozessen, oftmals verbunden mit der Einführung einer ERP-Software. Treiber dieser Entwicklung war die Notwendigkeit, die Wertschöpfung zu erhalten bzw. zu steigern, also mehr Effektivität und mehr Effizienz zu erzielen.

Dieser Treiber zeigte weiterhin Wirkung und trieb die unternehmerische Wirklichkeit und die Theoriediskussion voran. Es folgte die Betrachtung der Geschäftsprozesse als Ganzes, die sog. Prozesslandschaften rückten ins Blickfeld und die Analyse der Geschäftsprozesse wurde vertieft. Reifegrade, Risiken, Controlling usw. von Geschäftsprozessen wurden und werden betrachtet und BWL sowie Wirtschafts­informatik antworteten auf diese Thematik durch ausführliche Erarbeitungen von Methoden und Ansätzen, um die Gesamtheit der Prozesse zu optimieren.

Parallel zu obiger Entwicklung gab es eine IT-technische, die auch permanent anhält, angetrieben durch denselben Wunsch nach Sicherung und Steigerung der Wert­schöpfung: Die IT-Unterstützungder Prozessabwicklung durch Software und Hardware (vgl. Kapitel 17). Dies war von Anfang an so, allerdings wurden zu Beginn nur einzelne Tätigkeiten durch die IT [Anmerkung] unterstützt. Nach und nach wurde dieser Anteil immer größer, unterstützt durch eine immer detailliertere Erfassung der Geschäftsprozesse. Die entsprechende Software, ERP-Software, deckte von ''Version zu Version" mehr ab von den Geschäftsprozessen, der Detaillierungsgrad der in die Software umgesetzten Geschäftsprozesse wurde ständig erhöht.

IT-Unterstützung der Prozessabwicklung

Immer mehr Unterstützung bzw. Realisierung der Geschäftsprozesse durch die IT bedeutet, dass Programme teilweise die Prozessabwicklung übernehmen. Da war es nicht mehr weit bis zur vollständigen Automatisierung, wie wir sie seit einigen Jahren erleben. Ganz aktuell wird diese weit vorangetrieben (in den klassischen Unternehmen) oder weitgehend erreicht (bei den Internet-Unternehmen). Vgl. dazu Kapitel 18, 19.

Automatisierung der Prozessabwicklung

1.2 Geschäftsprozesse

Für den Erfolg einer Organisation ist also - neben vielem anderen - die optimale Gestaltung der Geschäftsprozesse wichtig. Das beste Geschäftsmodell und die intelligenteste Geschäftsstrategie nützen wenig, wenn die Geschäftsprozesse nicht leistungsstark gestaltet sind. Nur dann kann das Ziel, die Kundenwünsche so zu erfüllen, dass die eigene Wertschöpfung realisiert wird, erreicht werden. Die Optimierung der Geschäftsprozesse hinsichtlich Effektivität und Effizienz ist Gegenstand des Geschäftsprozessmanagements (GPM) oder Business Process Managements (BPM). Die beiden Begriffe werden hier synonym benutzt. Hier sind thematisch alle Aktivitäten zusammengefasst, die dem Ziel der optimalen Gestaltung der Geschäftsprozesse dienen.

Dass diese Thematik von hoher Aktualität ist, zeigen auch aktuelle Erhebungen. So nannten in der Studie IT-Kompass 2016 [Anmerkung] 59% der Befragten an erster Stelle die Optimierung der Geschäftsprozesse als ein Thema, das sie beschäftigt [Herrmann 2016, S. 24].

Seit es Organisationen gibt, mit oder ohne Wertschöpfungsabsicht, wurden Geschäftsprozesse (vgl. Kapitel 2) betrachtet. Die Notwendigkeit dafür war schon immer gegeben, sie wurde mit den Jahrzehnten immer dringlicher und hat jetzt einen Punkt erreicht der mit Recht disruptiv genannt werden kann. Und dies aus zwei Gründen:

Digitalisierung und Automatisierung

  • Die fortschreitende Globalisierung und Digitalisierung macht das organisationelle Umfeld immer komplexer. Kürzere Lebenszyklen von Produkten und Dienstleistungen zwingen Organisationen, ihre Geschäftsprozesse ständig anzupassen und zu optimieren.
  • Inzwischen geht es nicht mehr nur um weitere Optimierung, um effizientere Abwicklung, z.B. durch immer weitergehende IT-Unterstütung, sondern um die fast vollständige Abbildung der Geschäftsprozesse in Software. M.a.W.: Die technische Entwicklung ermöglicht heute die weitgehende Automatisierung vieler Geschäftsprozesse. Dies hat massive Auswirkungen auf das Geschäftsprozessmanagement.

1.3 Geschäftsprozessmanagement

Business Process Management (BPM) umfasst schon immer u.a. Aufgaben des operativen und strategischen Prozessmanagements, des Prozessentwurfs, der Prozesseinführung und -implementie­rung sowie des Prozesscontrollings. Durch die Automatisierung wird sich dieses Aufgabenspektrum verändern. Es werden softwaregestützte und bereits voll automatisierte Geschäftsprozesse eingeführt, beobachtet und bei Bedarf optimiert. Dabei bleiben aber die "alten Fragen" des Geschäftsprozessmanagements zumindest teilweise erhalten.

BPM in Zukunft

Eine Frage, die hier beantwortet werden soll, ist, wie das Business Process Management der Zukunft insgesamt aussehen wird.

Aufgaben

Geschäftsprozesse bedürfen der Einrichtung, der Pflege und evtl. auch mal der Abwicklung. Zur Pflege gehört die Optimierung, zur Optimierung gehören Ziele.

Becker et al. sehen das Geschäftsprozessmanagement als Mittel zur prozessorientierten Unternehmensgestaltung, das sich per IT-Unterstützung mit der Dokumentation, dem Gestalten und Verbessern von Geschäftsprozessen befasst [Becker, Kugeler und Rosemann (Hrsg.) 2012].

Für Schmelzer/Sesselmann ist Geschäftsprozessmanagement „ein integriertes System aus Führung, Organisation und Controlling zur zielgerichteten Steuerung und Optimierung von Geschäftsprozessen. Es ist auf die Erfüllung der Bedürfnisse der Kunden sowie anderer Interessengruppen ausgerichtet und dient dazu, die strategischen und operativen Ziele der Organisation bzw. des Unternehmens zu erreichen." [Schmelzer und Sesselmann 2013]

Führung, Organisation, Controlling

Die hier angesprochenen Kundenbedürfnisse spielen natürlich eine wesentliche Rolle. Davon ausgehend wird als eine wichtige Aufgabe für das Geschäftsprozessmanagement die Herstellung der sog. Kundenorientierung formuliert. Deshalb wird in vielen Definitionen dieser Begriff mit angeführt.

Kundenorientierung

Dass dies eine aktuelle und auch in den Unternehmen erkannte Aufgabe ist, zeigt auch der IT-Kompass 2016. Nach dem wichtigsten Thema Optimierung der Geschäftsprozesse (59%) kam an zweiter Stelle mit 41% Nennungen Steigerung der Kundenzufriedenheit/Kundenbindung [Herrmann 2016, S. 24].

Es geht aber nicht nur um die aktuellen Wünsche der Kunden. Wir erleben es ständig: Unternehmen entwickeln neue Produkte oder Dienstleistungen, von denen die Kunden noch nichts wissen, die sie aber zukünftig erwerben sollen. Z.B. neue Fernseh- und Radiotechnologien, neue Datenträger (CD – DVD – BD), Self Publishing über das Internet. Auch neue Formen vorhandener Leistungen werden ständig entwickelt, z.B. die dynamische Preisfindung im Tourismus, die Sommerangebote in bisherigen Winterregionen, die Kreativität bei der Gestaltung der Tarife für die Telekommunikation, usw. Diese potentiellen Wünsche(von denen man aber nicht weiß, ob sie vom potentiellen Kundenauch wirklich angenommen werden), müssen auch bedacht werden.

Potentielle Kunden

Auch wenn dies v.a. Fragen des Marketings sind, betrifft dies auch das Geschäftsprozessmanagement. Denn viele dieser Leistungen bzw. Produkte sind direkt mit IT-gestützten bzw. automatisierten Geschäftsprozessen verknüpft. Dazu unten mehr.

Andere Definitionen weisen – mit etwas anderer Begrifflichkeit – auch auf Automatisierungsaspekte hin. So die Fraunhofer-Gesellschaft:

Automatisierung

„Unter Business Process Management (BPM) versteht man alle Aktivitäten, um die modellbasierten automatisierten Geschäftsprozesse (samt manuellen Aktivitäten) eines Unternehmens (und unternehmensübergreifend) stets optimal ablaufen lassen zu können" [Weißenberg und Stemmer 2009, S. 1].

Hier haben sich die Gewichte von den "manuellen Aktivitäten" hin zu den automatisierten verschoben. Dies wird in Zukunft noch viel stärker so sein.

Sehr oft werden in der Literatur diese Bemühungen um die optimierte Gestaltung der Prozesslandschaft unter dem Begriff Business Process Reengineering behandelt. Er steht dann als Oberbegriff für die Methoden zur prozessorientierten Umgestaltung betrieblicher Organisationsstrukturen.

Business Process Reengineering

Es versteht sich, dass Business Process Reengineeringdamit auch in engem Zusammenhang mit den oben diskutierten Begriffen Kerngeschäftsprozesse und Kernkompetenzen steht. Um es mit Rupper zu sagen:

„Process Reengineering beginnt mit der Wertschöpfungsanalyse, d.h. man analysiert je Tätigkeit resp. Prozessteil Deckungsbeiträge, akquisitorische Werte etc. ..... Im nächsten Schritt wird eine Optimierung der Wertschöpfung bewerkstelligt, ..... Im dritten Schritt werden die Prozesse neu gestaltet, z.B. durch Konzentrieren auf Kernprozesse, ...., v.a. aber durch Neugestaltung der Abläufe im Sinne der Flussorientierung.“ [Rupper 1994, S. 10]

Dies sind alles Themen, die auch ein modernes Geschäftsprozessmanagement bewältigen muss. Damit kann wie folgt definiert werden:

Definition Geschäftsprozessmanagement:

(1) Geschäftsprozessmanagement hat das Ziel, die Geschäftsprozesse einer Organisation so zu gestalten, dass eine möglichst hohe Wertschöpfung erzielt wird (Unternehmen), bzw. dass ein möglichst effektiver und effizienter Einsatz der Resssourcen erfolgt (sonstige Organisationen).

(2) Es geht um alle Aktivitäten, die mit der Planung, Gestaltung, Ausführung und Überwachung von Geschäftsprozessen zu tun haben.

Zur Planung und Gestaltung gehört heute auch die Herbeiführung einer weitgehenden IT-Unterstützung oder Automatisierung der Geschäftsprozesse. Dies wiederum muss die Ausführung und Überwachung der Geschäftsprozesse heute berücksichtigen, sie hat zu einem erheblichen Teil heute mit Software-Lösungen zu tun.

IT-Unterstützung, Automatisierung

Ebenen des Geschäftsprozess­managements

Entsprechend den üblichen Managementebenen wird auch das Geschäftsprozessmanagement in eine operative, fachlich-konzeptionelle und strategische Ebene eingeteilt [Gadatsch 2013a, Pos. 784]:

  • Fachlich-konzeptionelle Ebene: Hier ist sozusagen das betriebswirtschaftliche Geschäftsprozessmanagement mit Prozessabgrenzung, -modellierung, -führung angesiedelt.
  • Operative Ebene: Hierzu gehören neben der Prozessüberwachung, Prozessmessung und Prozessteuerung auch alle Fragen rund um die Einbettung der Geschäftsprozesse in die IT, unabhängig davon, wie sie erfolgt: durch das Workflow-Management, die Entwicklung von Anwendungssystemen, Kauf von ERP-Software, usw.
  • Strategische Ebene: Diese umfasst strategische Fragen rund um die Prozessgestaltung. Vgl. hierzu Kapitel 6.

Lebenszyklus

Zum Abschluss dieser Betrachtungen, wie Geschäftsprozessmanagement definiert ist und welche Aufgaben es hat, noch eine andere Sichtweise. Ein funktionierender Geschäftsprozess ist eine erbrachte Leistung, ähnlich einem Produkt. Geschäftsprozessmanagement betrifft dann alle Aktivitäten rund um diese Leistung/dieses Produkt. In Anlehnung an die "Produktlebenszyklustheorie" können dann die Lebensphasen eines Geschäftsprozesses wie folgt definiert werden:

Prozesse …

  • ... identifizieren und standardisieren
  • ... modellieren, Erstellen eines Prozessmodells
  • ... in die Prozesslandschaft einbetten
  • ... einrichten
  • ... durchführen und lenken
  • ... pflegen
  • ... überwachen, Controlling der Prozesse
  • ... standardisieren und optimieren
  • ... abwickeln

Damit sind ebenfalls die wichtigsten Tätigkeitsbereiche zusammengestellt, die im Rahmen des Geschäftsprozessmanagements zu lösen sind, ergänzt um den Aspekt der Abwicklung, der inzwischen auch Bedeutung erlangt hat.

Prozessorientierung

Führt man Geschäftsprozessmanagement in einer Organisation ein, stellt dies neue Anforderungen an die Mitarbeiter. Sie sollten sich bewusst werden über den Prozess, erkennen, wo sie im Prozss wirken und wie die "benachbarten" Prozessabschnitte aussehen. Diese Prozessorientierung sollte zu entsprechendem Handeln führen. Gewünscht wird auch, dass sich die Mitarbeiter "aktiv an der Steuerung und Verbesserung der Geschäftsprozesse" beteiligen [Schmelzer und Sesselmann 2013, S. 11]. Erwartet wird eine "Zunahme von Selbständigkeit und Eigenverantwortung der Mitarbeiter" und eine "Abnahme von Anordnung und Aufsicht durch die Führung" [ebenda].

Neue Anforderungen

Dies deckt natürlich nur einen Teil der Wirklichkeit ab. Sehr oft gibt es Konflikte bei der Durchführung von Optimierungsschritten, aus dem einen oder anderen Grund. Becker/Berning/Kahn haben sich mit einem Aspekt solcher Konflikte beschäftigt, möglichen Haltungen und Verhalten der Beschäftigten, die nach ihrer Ansicht kritische Erfolgsfaktoren für solche Projekte sind [Becker, Berning und Kahn 2012, S. 40ff]:

  • "Mit mir nicht" für Beharrungsvermögen/Verweigerung
  • "Not invented here" für mangelnde Akzeptanz von Lösungen, die von außen kommen
  • "Macht ihr mal" für den Rückzug der Leitung aus dem Projekt
  • "Wir fangen schon mal an" für unreflektierten Übereifer
  • "Mal schauen, wie weit wir kommen" für mangelnde Zeitplanung
  • "Keine Zeit" für Zeitmangel
  • "Ist mir doch egal" für mangelnde Motivation
  • "Analyse/Paralyse" für mangelnde Umsetzung

Subjektorientiertes Prozessmanagement

Direkt mit der obigen Thematik hat auch das subjektorientierte Prozessmanagement (auch: Social Business Process Management und S-BPM) zu tun. Deren Urheber sehen in diesen Projekten eine zu geringe Beteiligung der an den Geschäftsprozessen beteiligten Menschen. Dies kann dazu führen, dass Prozesse und vor allem Prozessänderungen von den Beteiligten nur zögerlich und nicht in vollem Umfang angenommen werden. Deshalb dieser Vorschlag für Geschäftsprozessmanagement im Allgemeinen und Prozessmodellierung im Besonderen. In ihm wird die Rolle der Mitarbeiter und die Rollen anderer Beteiligter am Geschäftsprozessmanagement besonders betont. Die Prozessbeteiligten (Subjekte) und deren Interaktion werden in den Mittelpunkt gestellt, die natürliche Sprache wird für die Beschreibung, Modellierung, Validierung und Optimierung der Geschäftsprozesse verwendet.

Motiv für die Entwicklung dieser Vorgehensweise ist also die unzulängliche Berücksichtigung der an den Geschäftsprozessen beteiligten Menschen. Im Hintergrund steht dabei der Wunsch, mit den ständigen Veränderungen besser klar zu kommen, die durch die hohe Dynamik der Geschäftstätigkeit und der damit verbundenen Prozessanpassungen heutzutage notwendig sind.

Rollen

Am Geschäftsprozessmanagement sind zahlreiche Personen mit unterschiedlichen Aufgaben beteiligt. In der Literatur werden dazu folgende Rollen genannt, die Praxis zieht da nicht immer mit:

  • Chief Process Owner (Gesamtverantwortlicher für den Prozess)
  • Process Owner/Prozessmanager (verantwortet die laufende operative Steuerung). Diese Rolle ist in Unternehmen häufig etabliert.
  • Prozessmitarbeiter/Prozessexperte (unterstützen die erstmalige Implementierung des Geschäftsprozessmanagements und Weiterentwicklung bei größeren Restrukturierungen)
  • Prozessberater (Ausführung von konzeptionellen und ausführenden Projektarbeitspaketen)
  • Prozess-/Workflowmodellierer (IT-orientierte Erhebung, Modellierung und Spezifikation von Prozessen)
  • Projektleiter (Leitung des Geschäftsprozessmanagementprojekts)
  • Prozessauditor (unabhängige Prüfung von Arbeitsabläufen und Prozessveränderungsprojekten)

Vgl. [Gadatsch 2015, Pos. 265f].

1.4 Digitalisierung und Automatisierung

Im Kontext dieses Textes bedeutet Digitalisierung, dass im Rahmen eines Geschäftsprozesses Aufgaben, die bis dahin durch Menschen realisiert wurden, nun von Programmen erledigt werden. Dies kann einzelne Tätigkeiten (z.B. Brief schreiben), Aufgaben (z.B. Angebote einholen), Vorgänge (z.B. Angebot erstellen) oder ganze Geschäftsprozesse (z.B. Leistungserbringung) betreffen.

Digitalisierung betrifft statische Aspekte, die sich in Dateien und Datenbanken artikulieren und dynamische Aspekte, die sich – in diesem Kontext – als Geschäftsprozesse äußern. Der Gegensatz „Statik – Dynamik“ ist ein altes und grundlegendes Thema der Informatik, insbesondere der Softwareentwicklung. „Statik“ meint hier die von jedem Anwendungsprogramm zu verwaltenden Daten, „Dynamik“ die Umsetzung von Handlungen, Vorgängen, Abläufen, Geschäftsprozessen, usw. in Programme.

Statik + Dynamik

Die Bewältigung der „Statik“ führte von den datenerfassenden Lochstreifen der ersten Zuse-und Hollerith-Computer zu Dateien, Datenbanken (relational, objektorientiert, nicht-konventionell) bis zu den NoSQL-Datenbanken.

Statik -> Datenbanken

Die Bewältigung der „Dynamik“ führte im hier betrachteten Bereich zu immer ausgefeilteren Programmen. Zuerst erfolgte die Unterstützung einzelner Aufgaben von Geschäftsprozessen, dann die abschnittsweise automatisierte Abwicklung und nun der Versuch weitgehender Automatisierung bis zum Kundenkontakt (vgl. Kapitel 18, 19).

Dynamik -> Programme

Automatisierung, wie sie heute verstanden wird, hat die Digitalisierung als Grundlage. Davor war es ein Thema der Mechanik. Spannende Einblicke zu diesen Vorläufern gibt [Giedion 1982].

1.5 Begrifflichkeiten

Organisation vs. Unternehmen

Üblicherweise denkt man, wenn man von Geschäftsprozessen spricht, an Unternehmen und an die Wertschöpfung, die mit ihrer Hilfe erzielt werden soll. Dies ist aber nicht ausreichend. Auch andere Organisationen aller Art und in allen Bereichen der Gesellschaft (Öffentliche Verwaltung, Hochschulen, (öffentliches) Gesundheitswesen, politische Institutionen, usw.) erbringen ihre Leistung durch Geschäftsprozesse.

Da aber nun mal Wertschöpfung normalerweise nur in wirtschaftlich handelnden Organisationen stattfindet, wird hier von Unternehmen die Rede sein, wenn es um den Ort geht, wo versucht wird, Wertschöpfung zu realisieren. Bei all den anderen Organisationen muss dieses Ziel ersetzt werden durch das, die zu erbringenden Aufgaben mit einem möglichst effektiven und effizienten Einsatz von Mitteln zu erreichen.

Somit gilt: Wo immer es sinnvoll ist, wird von Organisationen als Anwendungsbereich (Gegenstand der Ausführungen) gesprochen. Wo es um nach Wertschöpfung zielende Organisationen geht, von Unternehmen.

1.6 Einbettung

Die Betrachtung von Geschäftsprozessen erfolgt im Rahmen des Geschäftsprozessmanagements. Dieses war lange Zeit eine betriebswirtschaftliche Thematik, inzwischen ist es auch Sache der IT der Organisationen.

BWL + IT

Geschäftsprozessmanagement ist Teil des Managements einer Organisation. Wichtige benachbarte Managementbereiche sind IT-Management und strategisches Management (vgl. die folgende Abbildung). Von besonderem Interesse sind auch die Überschneidungsbereiche. Geschäftsprozessmanagement und IT-Management (A) haben zahlreiche Berührungspunkte mit einer durch immer mehr IT-Unterstützung und Automatisierung dynamischen aktuellen Entwicklung. Strategisches Management und IT-Management (B) leisten einen wichtigen Beitrag zur IT-technischen strategischen Ausrichtung des Unternehmens, Geschäftsprozessmanagement und strategisches Management (C) definieren das strategische Geschäftsprozessmanagement. Im Überschneidungsbereich aller drei Managementgebiete (D) finden sich strategische Aufgaben des Geschäftsprozessmanagements mit IT-Bezug, z.B. die Klärung der Frage, welche Geschäftsprozesse langfristig in "die Cloud" verlagert werden können.


Abbildung 1.6-1:

Geschäftsprozessmanagement - Einbettung